Unter Strom

Aug. 26, 2019

Ein Rennrad mit Motor? Nur was für komplette Schwächlinge? Das wollte ich mir doch mal genauer anschauen.

Ich geb’s zu: Schon seit Langem schau ich aus den Augenwinkeln in Richtung der zart motorisierten Räder. Nur irgendwie war die Zeit noch nie so richtig reif dafür, daher wurde der Gedanke immer wieder in die hintere Gedankenecke gedrängt. Nun aber ist er ganz plötzlich wieder nach vorne gekrochen, hat sich ganz leise angeschlichen, um dann mit Macht einzuschlagen. Also: ausprobieren. 

Nachdem Rainer mit Remko Bornmann alles klar gemacht hatte, schnappte ich mir am Samstag das Cannondale Synapse Neo im überfüllten Ladengeschäft – Zierenberg stand vor der Tür und irgendwie wollte an dem Tag wohl halb Kassel ein Rad dort kaufen –, packte es auf den Radträger und brachte es in Sicherheit. Nun stand das Ding auf meiner Terrasse: schwarz, schwer und irgendwie so überhaupt nicht sportlich. Meine Euphorie hielt sich entsprechend in Grenzen. Egal, ich wollte ja am Folgetag unter regulären Bedingungen testen, also hieß es einige Kleinigkeiten anpassen, richtig sitzen und gut treten können. Dann eine erste Miniaturrunde vor der Haustür – Donner, wenn’s rollt, ist die Trägheit der gut 17 Kilogramm wie weggeblasen, könnte vielleicht doch ein schöner Sonntag werden. 

Let’s test RTF

Und es wurde ein klasse Sonntag. Fing schon an mit dem Wetter. Bei feinstem Sonnenschein starteten wir in unserem kleinen Team mit Dustin, Samuel, Madlen und mir auf die 115 Kilometerstrecke der Fritzlarer RTF. Nach GPSIES sollten es gut 1.300 Höhenmeter sein, Garmin machte am Ende 117 Kilometer mit 1.500 Höhenmetern daraus. Samuel wollte nicht zwingend eine Spazierfahrt machen und wir anderen waren wohl vom guten Wetter motiviert, so ging es sofort flott nach vorn. Blöd nur, dass bei mir bei 25 km/h Schluss war mit der Unterstützung. Obwohl: nein, nicht wirklich blöde. Butterweich ist der Übergang auf höhere Geschwindigkeiten, man spürt kein Bremswiderstand. Das Ding rollt. Ob die WTB Bereifung in 32mm und die Laufräder aus der Höllenküche der Schwergewichtsfreunde an einem Rennrad tatsächlich so sinnvoll sind? Da liegt sicher noch Tuning-Potenzial vergraben, das gehoben werden sollte. 

Flachlandtiroler

Auf der Gerade zeigten sich gute 30 km/h auf der Uhr, die erstaunlich entspannt mit dem Synapse liefen. Ich hatte die meiste Zeit den Motor in »Off-Stellung«, wäre aber wohl auch andersherum egal gewesen, da in dieser Geschwindigkeit sowieso kein Eingriff erfolgt. Kurz mal den Puls checken: Alles noch im grünen Bereich, darf so weiterrollen. Erst so ab 35 km/h artete es für mich in Arbeit aus. Und das Tempobolzen mit 38 km/h an der Spitze als wir in Richtung Singliser See fuhren, kostete kräftig Körner und war mächtig anstrengend. Eigentlich auch logisch, denn aerodynamisch will das Synapse nicht wirklich sein, und meine Beine sind ja nun auch nicht so gut, dass ich das locker treten könnte. Im Windschatten aber, wenn Samy vorne teilweise auf 40 km/h+X anzog, kann man auch mit dem Synapse fein hinterher fahren. Fazit Flachland: Überraschend leicht und unspektakulär läuft das Schätzchen. 

Aufi auf’n Berg

Und dann waren da ja noch der ein oder andere Anstieg. Ich mach es kurz – ein Träumchen. Gerade diese verflixten kleinen und fiesen Steigungen sind es nämlich, die ich mit meinen Handicaps immer intensiv spüre. Hier muss ich mit dem normalen Rad ackern wie ein Irrer und drehe ich herzfrequenztechnisch extrem schnell Richtung Roter Bereich. Heute dagegen: nichts davon. Ein Druck auf die große Plustaste des PurionDisplays, schon schiebt der Bosch Active Line Plus Motor vehement an und fahre ich mit 150er Puls den Anstieg hoch. Dabei spielt die Kadenz eine entscheidende Rolle. Wer mit der »dicken Mühle« nach oben will, macht was falsch. Mehr Umdrehungen = mehr Unterstützung. Wichtig ist auch die Wahl des Schubs. Es gibt Eco, Tour, Sport und (das hatte ich erst kurz vor Ende unserer Tour auf dem Schirm) einen Turbo-Modus. Mit »Sport« kann ich nahezu jeden Anstieg als lockere GA-Einheit fahren, auch wenn das Steigungsschild 12 Prozent oder mehr androht. Wer dagegen mehr selbst treten will, der wird schnell sehen, dass beispielsweise »Eco« am Berg eine echte Herausforderung ist. Überhaupt ist das für mich die Erkenntnis dieses E-Rennrad-Tages: Wer Sport sucht, wird auch Sport finden. 

Talfahrt

Ich fahre ja zu gerne richtig schnell nach unten, aber mit einem Rad, das man nicht kennt, macht man das einfach nicht. So hab ich mich an die an diesem Tag maximalen 69 km/h rangetastet. Durch das massive Gewicht fährt sich das Synapse eher wie ein Mopped bergab. Das kurveninnenliegende Bein drückt leicht ans Oberrohr, dann geht’s auch in die Kurve. Ganz klar, dass man das nicht mit leichtgewichtigen puren Rennern vergleichen kann. Mit der Bereifung war ich nicht so ganz im Reinen, vielleicht waren auch die 5 Bar zu viel, jedenfalls verspürte ich auf schlechter Strecke immer wieder ein ziemliches Poltern im Cockpit, was mich veranlasste, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Kurvenräubern geht anders, ist aber sicher auch nicht gewollt, schon die Geometrie des Synapse zeigt sich im Touren- und nicht im Renntrim.  

Langläufer?

Kommen wir zur Frage aller Fragen. Wie lange hält der Akku? Wenn man mal die einschlägigen Tests liest und die Foren durchforstet, dann scheint die Hälfte der Menschheit darauf aus zu sein, mit ihren E-Rennrädern mit einer Akkuladung um die ganze Welt fahren zu wollen. Was ein Unfug. Ich habe an diesem Tag enorm viel selbst getreten und wir waren echt flott unterwegs. Das schont natürlich den Akku. Von 5 Akkubalken in der Anzeige des Bosch-Displays ging der Erste nach Kilometer 73 aus. Und der Rest? Keine Ahnung. Im Ziel selbst hatte sich nach 117 Kilometern nichts Weiteres mehr getan. Da fragt sich der geneigte Zeitgenosse schon, ob der Akku mit seinen 500 Wh tatsächlich notwendig ist, schließlich kostet ein großer Akku auch Gewicht. Aber das muss man wohl differenziert betrachten. Nicht jeder Fahrer wird immer so viel selbst investieren wollen, nicht immer sind es nur 1.500 Höhenmeter. Hinzu kommt, dass Cannondale den Basisrahmen plus Antrieb sowohl als Gravelbike wie auch in einer Art Touring-Variante mit allen Anbauteilen und Gepäckträger anbietet. Da scheint mir die Dimensionierung wiederum absolut korrekt zu sein. Auf jeden Fall hat sich die Konkurrenz ohne schweren Bosch-Motor und mit kleinerem Akku schon entsprechend positioniert, um die puristischen Sportler unter den E-Rennradlern abzuholen. 

Noch was aufgefallen?

Ok, na klar, das übliche Gemecker von mir: Ich kann mich einfach mit diesem »teigigen« Schalten und Bremsen von Shimano nicht anfreunden. Ist halt Geschmacksfrage. Davon ab frage ich mich, wie sinnvoll die zwei Kettenblätter an solch einem Rad sind. Die mechanische Dura-Ace-Gruppe mit 12-32 Ritzelpaket wird mit FSA-Carbonkurbeln und 50-34 Blättern komplettiert, davon sieht man am großen Kettenblatt schon eindeutige Abnutzung. Da man im Zweifel eben elektrischen Rückenwind bekommt, muss man sich schon wirklich zwingen, auf das kleine Blatt zu gehen. Ob hier nicht ein 1-fach-Antrieb die clevere Wahl wäre? Das würde ich noch zu gerne ausprobieren. Und das Rad dazu gibt’s auch: Cannondale Synapse Neo SE; gleicher Rahmen und Antrieb nur mit einer Apex HRD und 44 plus 11-42 Übersetzung – Laufräder und Reifen 650b und CX. Das könnte dann superspannend sein. 

Kaufen? Logisch!

Für mich klar die Kaufempfehlung für alle diejenigen, die das Sportgerät variabel einsetzen wollen. Das Synapse fährt sich mehr als ausreichend sportlich und hat dazu noch Qualitäten, die weit über das eigentliche Tempobolzen hinausgehen. Wenn irgendwann die lange Tour ansteht, freut man sich über den ausdauernden Akku, die vorverlegten Kabel für die Beleuchtung oder den möglichen Anbau von festen Schutzblechen und Gepäckträger. Und überhaupt: Für die Freunde der flotten und langen RTF wie gemacht. Ich zumindest weiß jetzt, wofür das Sparschwein noch gefüttert werden will. Wer sich selbst ein Bild machen will: Fahrt das Rad. Unser Sponsor, Radsport Bornmann, gibt euch sicher die Chance auf eine Testfahrt.

von Roman

PS: Danke an Madlen, Dustin und Samuel für Geleitschutz. Hat Spaß gemacht mit euch. Und Udo: Mensch, was bist du noch fit. Top.