Tristan hat sich vergangene Woche im Breitensport jenseits des BDR herumgetrieben und erfolgreich am Gravelrennen SevenSerpents auf der „Kurzdistanz“ teilgenommen. Hier sein Bericht.

Das SevenSerpents ist eine sogenannte “Unsupported Bikepacking Challenge”. Was kurz erklärt ungefähr so viel bedeutet wie: Langstreckenrennen über mehrere Tage, bei denen die Uhr von Start bis Ziel durchläuft und keine Ressource, welche nicht allen Fahrenden zur Verfügung steht, genutzt werden kann. Oder noch knapper: Hab es am Rad oder kläre es mit der Kreditkarte. Dieses Regelwerk wird in der Praxis abhängig von den Ambitionen und Veranstalter mehr oder weniger streng ausgelegt. Exzessives Windschatten fahren ist nicht drin, aber Teilnehmende im Mittelfeld, die sich unterwegs spontan eine Unterkunft teilen, werden deswegen nicht disqualifiziert und die Top 10 schläft auf allen Rennen unter 700 km ohnehin nicht bzw. vielleicht mal fünf Minuten auf einer Parkbank. Die Tage reduzieren sich damit essenziell auf die Themen: effiziente Nahrungsbeschaffung (die verdammte Uhr tickt ja gnadenlos weiter …), schlafen (Wann? Wo? Wie? Und vor allem, wie viel?) und natürlich auch etwas in die Pedale treten.

Alle Räder haben einen GPS-Tracker montiert und senden die Liveposition in Echtzeit 24/7 auf eine öffentlich einsehbare Webseite. Woraus sich die eigene Sportart des “Dot Watchings” für den Rest der Szene ergibt. Dazu aber vielleicht mal an anderer Stelle mehr. Die Route des kurzen SevenSerpents führt auf 538 km und etwas über 10.000 Höhenmeter auf einer vorgegebenen Route von Ljubljana in Slowenien nach Triest in Italien. Dabei werden die kroatischen Urlaubsinseln Krk und Cres passiert.

Tag 1 (140,19 km & 2874 Höhenmeter)

Das Rennen starte pünktlich um 12:00 Uhr Mittag mit den liebevollen Worten des Veranstalters Bruno: „Now it’s your problem. Go!“ Nach nur 3 km ging es schon auf feinstem slowenischen Schotter bergauf aus der Hauptstadt hinaus. Dass unsere Route abschnittsweise entgegen dem zeitgleichen Marathon verlief, war beiden Veranstaltern im Vorhinein nicht klar, aber wurde von den Streckenposten mit erstaunlicher Gelassenheit gelöst und der Verpflegungspunkt an der Kuppe hatte seine Gaudi plötzlich Bananen und Getränke in zwei Richtungen anzureichen. Hey! Ich dachte, es ist unsupported? Genommen haben es trotzdem alle gerne. Landschaftlich war damit auch schon der Ton für die nächsten 100 km gesetzt: perfekter Schotter in waldigem und hügeligem Gelände. Ein malerisches Schloss und eine Bachquerung durften auch nicht fehlen.

Erstmals wurde uns der Teil Challenge im Namen Bikechallenge im Aufstieg zu Checkpoint 1 vor Augen geführt. Wenn dein Garmin links abbiegen anzeigt und du eine Rückegasse mit 20 % Gefälle, bestehend aus teilweise offenliegendem Fels, hinaufblickst wird dir klar, dass du die nächsten Tage nicht nur auf dem Rad verbringen wirst. Auf dem restlichen Weg hinauf war die Frage, wieso ich mir das eigentlich antue, etwas sehr präsent im Kopf. Der Ausblick von CP1 und der Anblick der Kapelle auf der exponierten Kuppe machten aber alle Strapazen wett. Tag 1 endete für mich mit einer 20 km langen Abfahrt in das Städtchen Cerknica. Dort durfte ich mit vier anderen FahrerInnen nach einem freundlichen Gespräch mit einer Anwohnerin im lokalen Jugendclub nächtigen: eine Nacht unter Dach und fließendes Wasser! Das entspricht mindestens einer Viersterne-Unterkunft in der Ultracyclingwelt.

Tag 2 (206,4 km & 3545 Höhenmeter)

Nachdem um 04:00 Uhr der Wecker des zweiten Konkurrenten im Raum klingte und ich noch immer keinen richtigen Schlaf gefunden hatte, entschied ich mich weitere Regeneration auf einen eventuellen Mittagsschlaf zu verlegen und packte ebenfalls meine Sachen und schwang mich zurück in den Sattel. In Slowenien stand noch der Besuch eines weiteren Schlosses auf dem Programm, bevor für mich pünktlich zum Sonnenaufgang der lange Aufstieg zur Grenze zu Kroatien auf dem Programm stand, welche auf dem Gebirgskamm verläuft. In diesen Wäldern lebt wohl die größte Bärenpopulation im westlichen Europa. Mir blieb dieser Nervenkitzel allerdings verwehrt. Andere hatten da mehr Spaß. Fotobeweise inklusive.

Wo es hochgeht, da geht es auch runter. Damit war mein Nachmittagsprogramm gesetzt. Mit kurzen, aber knackigen Gegenanstiegen ging es in Kroatien von über 1000 Metern hinab ans Meer. Eine Sache wurde sehr schnell klar: Slowenischer Gravel ist der Himmel gegenüber kroatischem Gravel. Das ist eher als loses Geröll zu bezeichnen. Auf einem XC-Bike hätte man sicher die Landschaft zu 100 % genießen können. Ungedämpft auf 45er-Reifen, aber weniger. Die asphaltierten Serpentinen in den Hängen machten dafür uneingeschränkten Spaß. Hier möchte ich auf jeden Fall noch mal mit dem Straßenrad herkommen! Es war schon mit vollgepacktem Rad und breiten Reifen eine Freude Motorräder und Autos auf den engen Windungen zu jagen – die 6 km lange Schiebepassage in der prallen Sonne vergessen wir jetzt mal in der Folklore der Erinnerungen. 

Um circa 16:00 Uhr überquerte ich die Brücke zur Insel Krk. Das sollte eigentlich mein Tagesziel werden, aber eher so um 20:00 Uhr oder später. Also zum Kiosk Wasser nachtanken und weiter planen. Die Insel heute noch durchqueren? Weitere 900 Höhenmeter. Schafft mein Körper das? Es ist immer noch ein Rennen und stehen bei Tageslicht ist eigentlich keine Option, also weiter geht es. Im Notfall wird sich schon in einem Hafenstädtchen ein Schlafplatz finden. Biwakieren war für mich in einer so touristischen Gegend keine gute Option. 

Die Sorgen waren alle umsonst. Es war etwas zäh, aber der Körper spielte mit und so ging es im Zickzack über die Insel immer 200 Höhenmeter knackig hinauf und auf der anderen Seite hinab, bis ich kurz vor 22:00 Uhr das zur Insel gleichnamige Städtchen Krk erreichte. In der Pizzeria gaben sich bereits andere Teilnehmende dem Kalorienausgleich hin und nach einem kurzen Gespräch bot man mir ein freies Bett in ihrer Unterkunft an. Bingo! Dusche und Bett! 5 Sterne!

Tag 3 (185,65 km & 4062 Höhenmeter)

Wenn die erste Fähre ohnehin erst um 05:45 übersetzt, dann kann man auch mal 5 Stunden schlafen. Also setzen wir in einer kleinen Gruppe von 8 Leuten über auf Insel Nr. 2. Cres ist weniger touristisch und bietet eine atemberaubende Aussicht. Da durch meine mangelhaften Kletterkünste und eine weitere Schiebepassage die 09:00 Uhr Fähre auf das Festland für mich außer Frage stand, kurbele ich mich gemütlich über die Insel, um Körner für den restlichen Tag zu sparen.

Der hat es nämlich noch mal in sich. 2100 Meter vertikal auf den nächsten 50 km, davon alleine über 1000 am Stück auf unter 17 km Strecke mit wiederkehrenden Rampen von 14 bis 19 %. Das Ganze zum Großteil auf losem Schotter. Asphalt wäre ja auch keine Challenge. Wenn die Gänge oder Puste ausgehen, wird halt geschoben. Der Geschwindigkeitsunterschied ist dann nicht mehr signifikant. Einer aus den Top 10 ist es wohl komplett hochgefahren. In der Liga werde ich ziemlich sicher nie spielen. Oben im Naturpark Učka angekommen merkt man, dass man gerade in unter 2h vom Strandurlaub ins Gebirge gewechselt hat. Der Ausblick ist nicht nur atemberaubend, sondern selbst im Mai bei Sonnenschein verdammt kalt.

Auf den letzten 100 km mit vielen steinigen Wanderwegen sammelt man die letzten 10 % der Höhenmeter und durchquert erneut für wenige Kilometer Slowenien. Hier lieferte ich mir ein Rennen um Platz 40 in einer Pace, die für mich auch in einer Tour de Fôret sportlich wäre und das mit 500 Kilometern in den Beinen. Es ist schon etwas verrückt, was der Kopf bewirken kann. Auf den letzten 17 Kilometern geht es auf schnellen Rampen hinab in die östlichste Ecke Italiens. Eine Belohnung für alle Strapazen…außer man hat auf den letzten 500 Metern Schotter einen Platten. Nach kurzer Analyse des Schadens fiel die Entscheidung gegen eine Reparatur im Wolkenbruch (Wenn schon, dann alles. Sonst wäre ich ja trocken durchs Rennen gekommen.) und rollte langsam und vorsichtig eine weitere Stunde auf meiner Reifeneinlage in die Stadt hinab.

Montag 22:17 stand ich völlig erschöpft, pudelnass, aber glücklich in Triste auf dem Plaza Unità d’Italia und wurde von der Rennleitung sowie von einer kleinen Gruppe Finisher herzlichst begrüßt. Am Ende standen bei mir 2 Tage 10 Stunden 17 Minuten auf der Uhr. Platz 43 in der Solowertung.

Verbesserungspotenzial gibt es wie immer reichlich, aber nach mangelhaften Training mein minimales Ziel das Zeitlimit von 5,5 Tagen zu halten und der Traum eine Zeit unter 60h zu fahren. Check! Der Sieger war übrigens nach 27 Stunden und 54 Minuten im Ziel. Glückwunsch Manuel Rudaz! Mit der Liga möchte und sollte ich mich aber nicht messen. Das Tolle am Ultracycling ist, dass alle ihre Limits verschieben. Egal, ob auf Platz 1 oder 100+. Man ist auf der Strecke Konkurrent, aber man beißt nicht und weiß, was jede*r geleistet hat. Ein Finish alleine ist für die meisten ein Erfolg. Das Ziel erreichen nicht alle. Ist es überhaupt ein Rennen? Ja, irgendwie schon. Ist es ein Abenteuer? Eindeutig!

Ansonsten kann ich 

  • 0 Schlangensichtungen,
  • 0 Bärensichtungen,
  • 0 Stürze,
  • 15 km Rad schieben, 
  • 1 vernichtetes paar Schuhe,
  • und 57 Stunden und 17Minuten besten Spaß auf (und neben) zwei Rädern verzeichnen! Na gut, manches war erst im Nachhinein Spaß, aber das gehört bei Ultras dazu.

Persönliches Fazit: gerne mehr; aber nicht morgen. Und: In welcher sonstigen Disziplin kann man mit Stolz schreiben, knapp 1,5 Tage hinter dem Sieger ins Ziel gekommen zu sein?

1000 Dank an Bruno für die Arbeit! Jede*r der mal ein normales Tagesrennen organisiert hat, kann sich denken, wie viel Aufwand hinter einer solchen Veranstaltung steckt.